Collage, die die Verbreitung des Christentums aus der Defensive auf den Punkt bringt: Links: Letztes Gebet christlicher Märtyrer in der Arena (Jean-Léon Gérôme), Rechts: Bekehrung Konstantins und der Durchbruch (Peter Paul Rubens)
Um das Jahr 50 u.Z. Missionsreisen des Paulus bis nach Rom
Verbreitung der Lehre begünstigt durch gute Infrastruktur und Transportbedingungen des römischen Reiches
Damit einhergehend Konflikte, da die neue Religion
nicht in die Götterwelt der Römer passte und durch ihre Existenz die staatliche Ordnung in Frage stellte
den Umsatz der vom Götterkult abhängigen Branchen gefährdete (z.B. Kunsthandwerker und Zulieferer)
Lokale Pogrome und staatlich angeordnete Verfolgungen: Folter, Einzug des Vermögens, Hinrichtung
311: Galerius gibt Verfolgungen auf und erlaubt Christentum, wenn Christen für den Kaiser beten
313: Konstantin der Große: freie Religionsausübung
Ab 380: Unter Theodosius wird Christentum Staatsreligion
Die meisten Ballungszentren des Reiches sind bereits 235 stark christianisiert. Dies geschah gegen massive Opposition im römischen Reich, ohne Unterstützung durch den Staat oder sehr wohlhabende Förderer
Bereits vor der Förderung durch Konstantin (324) ist das Reich mit einem Netz von Missionszentren überzogen
All das verlangte von den Christen erhebliche persönliche Opfer durch die Verfolgungen: Vermögen, Leben, Freiheit, …
Die Verfolgungen gab es auch außerhalb des Reiches, z.B. unter den Germanen, sowie staatliche Pogrome in Persien
Was war „besser“ an dem neuen Glauben, diesem neuen „Way of Life“, sodass die Menschen die Mühe auf sich nahmen, ihr Verhalten und ihre Lebensweise zu ändern?
Diese erfolgsentscheidende Frage stellt sich bei jeder Innovation - bei jeder Neuentwicklung, in jedem Unternehmen
Tertullian, ein frühchristlicher Autor und als Anwalt für scharfzüngige Formulierung bekannt, hat sie vor fast 1800 Jahren in seinem Apologeticum 1,7 formuliert (M 44):
„Den Übertritt jeden Geschlechts, Alters, Standes und sogar Ranges zu unserem Namen [=Christentum] betrauert man wie ein Unglück. Und doch bringt das niemanden auf den Gedanken, dass etwas Gutes darin verborgen sein könnte.“
Handschrift des Apologeticum (Quelle)
Jüngste wissenschaftliche Arbeiten geben folgende Gründe an:
Verbesserung der rechtlichen Stellung von Frauen und Kindern
Sozialfürsorge: Versorgung der Kranken und Schwachen in der Gesellschaft
Einfache, direkt praktisch anwendbare Botschaft mit geradliniger Ethik für alle
Entwicklung Humankapital:
Bildungswesen für den Nachwuchs
Zuweisung von Aufgaben an Gemeindemitglieder
Integration unterschiedlicher Volksgruppen in eine gemeinsame Identität und Kultur
Erschließung neuer Handelsrouten und Förderung von Innovationen
Diese Aspekte werden nachfolgend für das frühe Christentum genauer betrachtet! Die herangezogenen Arbeiten sind wie folgt zitiert: Brown ist als B, von Padberg als P, Markschies als M zzgl. Seitenzahl! Titel finden sich im Literaturverzeichnis
Bitte beachten:
Diese Verbesserungen sind im Kontext des frühen Christentums zu sehen und zwar besonders als Verbesserung gegenüber den Verhältnissen im römischen Reich und den Regionen außerhalb wie Germanien usw.
Einige dieser Verbesserungen sind im Laufe der Zeit durch neu entstandene, dogmatistische Traditionen verloren gegangen oder wurden zurückgedrängt, z.B.
Zurückdrängen der Frauen aus der Gemeinde obwohl Paulus ihnen gezielt Aufgaben zuwies
Zwangsbekehrung statt eigenständige Entscheidung, zum neuen Glauben beizutreten
Diese dogmengeschichtlichen Fehlentwicklungen sind hinreichend bekannt, so dass wir uns hier auf die Verbesserung in der frühen Phase und Blütezeit des Christentums konzentrieren
Verbesserung der Stellung der Frau:
Kirchliche Ehegesetzgebung trug zur rechtlichen Gleichordnung von Mann und Frau und zum besseren Rechtsschutz der Frau (gegenüber dem römischen Reich und Germanien) bei (P223-4)
Abschaffung des Konkubinats in Rom (Mann lebte mit Frau niedrigeren Standes, um auf Nachwuchs, aber nicht Sexualität zu verzichten), denn gegenüber der Konkubine ging der Mann keine rechtliche Verpflichtung ein: „Frau auf Zeit” (M151)
Frauen konnten in der christlichen Gemeide Ämter außerhalb des Einflussbereiches ihrer Männer bekleiden (M253)
Bitte beachten: Das Christentum propagierte keine Gleichberechtigung, sondern gab der Frau mehr Rechte als vorher. Auch hier konnte sich die „zaghafte Ethik der Freiheit im Urchristentum” nicht ganz durchsetzen (M144, M158-9)
Verbesserung Stellung Kinder:
Ausgangslage: In Rom hatte der Vater hat das Recht, Neugeborenes abzulehnen und auszusetzen, z.B. weil es ein Mädchen oder behindert war. Die ausgesetzten Kinder wurden von ZuhälterInnen übernommen und für Prostitution abgerichtet (M245). Ähnlich war es unter den Germanen, wo das Kind Eigentum der Gemeinschaft war, die das Kind straffrei töten durfte.
Neuerung durch Christentum: Kind darf nicht getötet oder ausgesetzt werden, denn es hat eine Seele (P224, M70). Kind ist kein Eigentum der Stammesgemeinschaft oder des Vaters, die es straffrei aussetzen darf (P223)
Unter den Germanen (P218-9):
Hohe Eigeninitiative der Missionare und Mönche: Bedürftigkeit und Armut wurde als Appell an die Barmherzigkeit aufgefasst und nicht als hinzunehmende Schicksalsschläge (P218)
Weisung des Papstes: Missionare/ Klöster sollen 25% ihrer Einkünfte für Arme verwenden
Verteilung von Nahrung und Kleidung, Gesundheitsversorgung durch klösterliche Ärzte und Apotheken
Später durchorganisiertes Hospitalwesen
Im römischen Reich (M246):
beispielloses Sozialnetz: kostenlose Behandlung von Kranken, christlicher Senator als „Vater der Armen” (M224)
Armenspeisungen gab es bei manchem Wohltäter auch vor den Christen, aber Umfang und Nachhaltigkeit war bei den Christen beispiellos (M224)
Finanzielle Unterstützung und Besuch von Inhaftierten in Gefängnissen (M186)
Kaiser Julian beklagt sich, dass (M223)
die Christen „neben den Ihren auch noch die Unsrigen ernähren, die Unsrigen aber der Hilfe von unserer Seite entbehren müssen”
die Menschenfreundlichkeit gegenüber Fremden und die Reinheit des Lebenswandels der Gläubigen hätten das Christentum am meisten gefördert und seinen Verbreitung begünstigt
Erlösung und Vergebung der Sünden nicht abhängig von philosophischer Bildung, strengen Riten .... Das sprach einfache Menschen in ihrem Selbstwertgefühl an (M244)
Die Bibel ist einfach gehalten und verwendet viele Gleichnisse, Metaphern usw., die von vielen verstanden wurde, ganz im Gegensatz zu den Texten griechischer und römischer Philosophen, die die Schlichtheit der Bibel scharf kritisierten
Der nicht-christliche Philosoph Alexander hält „das Christentum für eine erfolgreiche Bewegung” (M225), denn
die christliche Lehre sei „einfach, ... legt auf ethische Bildung die meiste Sorgfalt ... Viele Menschen beachten diese Vorschriften, wie Du mit eigenen Augen sehen kannst”
beim Gottesbild und Fragen der Philosophie vermeiden die Christen unnötige, schwierige Probleme, so dass sich die Christen auf das Tun konzentrieren (später hat sich das ins Gegenteil verkehrt! siehe z.B. Küng, Christentum)
Galen, der berühmte Arzt der Antike, lobt Charakter und Einsatz seiner christlichen - und jüdischen - Studenten (B81)
Dieser einfachen Ethik konnten die traditionell orientierten griechischen und römische Autoren nichts Gleichwertiges entgegensetzen und reagierten mit Verleumdung. Porpyhrius: Da die Taufe von so vielen Befleckungen reinige, zöge das Christentum vor allem Verbrecher an (M226)
Der hohe ethische Standard der Christen spiegelt sich in Legenden wider, die bis ins alte vorislamische Arabien bekannt waren, z.B. die Geschichte von Hanzala, der seine Zusagen gegenüber dem Regenten einhielt, auch wenn diese seinen sicheren Tod bedeuteten (s. z.B. Geographisches Wörterbuch des Yáqút ar-Rúmí, Beirut, 1957, Bd IV, S. 199)
Die neue christliche Bewegung beendete komplizierte ethische Diskurse der Antike. Sie setzte ihre Auffassung von der Würde des Lebens (geboren und ungeboren) den Philosophen entgegen, die lang und breit über den biologischen Status des Embryos ohne greifbare Ergebnisse debattierten (M245)
Unter den Germanen (P225)
Aufbau eines Bildungswesens, das sich auf die kirchliche Nachwuchsförderung und Erziehung der Oberschicht konzentrierte
Dadurch Anschluss des teilweise analphabeten germanischen Adels an das römische Bildungserbe und Entwicklung eigenen religiösen Bewusstseins
Im römischen Reich:
Anhalten der Gemeinde zur eigenständigen Lektüre der Heiligen Schrift (M101)
Warnung, die Bibel nur von Mönchen lesen zu lassen (M101)
Besitz von Auszügen aus dem Neuen Testament bei ,einfachen Christen‘ (M100)
Gelegentlich Studienkreise zur Bibelauslegung für Frauen durch herausragende Gelehrte wie Hieronymus (M106)
Zusammenstellung von erbaulichen Bibelstellen (Florilegien) für die Gläubigen (M105)
Einrichtung von Studienkreisen (Didaskaleia) in größeren Städten und Bischofssitzen (B74, 104)
Frauen leiten Hausgemeinden z.B. in Rom und Korinth (M157)
Vornehme Frauen spielen wichtige Rolle in Gemeinden, z.B. in Smyrna (M157)
Das hat sich später ins Gegenteil verkehrt, vor allem weil die Bildung der Laien über den Klerus erfolgte, der dadurch eine Monopolstellung und Macht über die Gläubigen bekam:
Steigende Verehrung der Bibel und weniger Eigenstudium, Annahme von Meinungen anderer über die Bibel (M102), was in modernen Worten zu einer Art klerikaler ,Bildungsblase‘ führte (P225)
Ab dem 4. Jdh zunehmende Marginalisierung der Frauen (M158)
Städte im vorchristlichen Rom hatten eigene Gesetze. Sie waren von einer dünnen Oligarchie regiert, die dort sesshaft war und sich mit den Besonderheiten ihrer Stadt identifizierte (B60).
Die einfacheren Menschen mussten für ihren Lebensunterhalt umherwandern und reisen. Sie identifizierten sich immer weniger mit einer Stadt, sahen sich mehr als „Bürger der Welt“. Sie wünschten in den Worten des weitgereisten frühchristlichen Autors, Tatian, ein „Gesetzbuch für die ganze Menschheit“ und „eine politische Ordnung“ (B60)
Dieses Bedürfnis konnte das Christentum bedienen - als eine geschlossene Einheit religiöser Reflexion und Praxis, theologischen Denkens und Kultus (M248). Dabei nahm es viele Elemente der antiken Kultur in sich auf (Inkulturation)
Seine Literatur, seine Glaubensüberzeugungen, seine Kunst und seine spezifische Sprache waren von außerordentlich einheitlicher Prägung, ganz gleich ob in Rom, Lyon, Karthago oder Smyrna (B66)
Christentum bietet eine stabile, neue Identität ein neues „Gefühl der Einheit“ (M250)
Anschluss der Randzonen Europas durch die Verbreitung des Christentums an das christliche Abendland und sein Wirtschaftsleben. Dadurch weitere Verstärkung des Fernhandels
Entstehung von Klöstern, die sich teilweise zu landwirtschaftlichen Großbetrieben entwickelten und die umliegende Gegend deutlich veränderten
Einführung des Formates „Buch“ in der heutigen Form, Vereinfachung der Schreibschriften zur einfacheren Verbreitung der Bibel. Vorher waren Textrollen üblich, was für Reisende umständlicher zu transportieren als ein kompaktes Buch
Mönche wurden zu „Trägern kulturellen Fortschritts“ als Kenner der Schrift, wie auch der Techniken der Bodenaufbereitung, Medizin, Gartenbau, Organisation und Wirtschaft (P221)
Die Kirche war im frühen Christentum als Organisation flexibler als die traditionellen politischen Ordnungen und Institutionen und passte sich den dramatischen Veränderungen in der Spätantike an. So trat sie an vielen Orten des Reiches an die Stelle der überkommenen Strukturen (M249)
Später hat sich das ins Gegenteil verkehrt: Getrieben durch die Geistlichkeit verlor das Christentum seine Innovationsfähigkeit und stellte sich im Mittelalter gegen Veränderungen wie soziale, politische und wissenschaftliche Neuerungen
Christentum veränderte das Denken und Handeln der Menschen in einem graduellen Prozess (P216)
Menschen wachsen in diesen Prozess hinein und es kommt über lange Zeit zu einer Mischkultur
Nach und nach Mentalitätswandel, keine Veränderung von „heute auf morgen"
Beispiel Alkuin, einflussreicher Berater Karls des Großen und einer der größten Gelehrten seiner Zeit, unter Bezugnahme auf den Kirchenvater Augustinus (P248):
„Glaube [ist] eine Sache der Freiwilligkeit, nicht des Zwanges. Man kann Menschen zum Glauben ziehen, aber nicht zwingen. Er kann gezwungen werden zur Taufe, aber das ist kein Fortschritt im Glauben. Ein Mann fortgeschrittenen Alters aber soll für sich bekennen, was er glaubt und wünscht.“
Das hat sich später ins Gegenteil verkehrt:
Alkuin und andere Gelehrte konnten sich langfristig nicht durchsetzen.
In dem Maße wie das Christentum sich etablierte, nutzten Machthaber wie Karl der Große den Glauben, um ihn unter Zwang zu verbreiten und ihre Machtbasis zu erweitern
Analog überredeten die Bischöfe denselben Augustinus, der zunächst Glauben als etwas Freiwilliges betrachtete, am Ende doch Zwangsbekehrung zu akzeptieren (M61)