Protestantismus und Innovation -
was lernen wir daraus?

Beobachtung um die vorletzte Jahrhunderwende:
Tendenziell höherer Wohlstand in Gegenden mit protestantischer Bevölkerung 

Um 1900: Länder mit höherer protestantischer Bevölkerung (grün eingekreist) sind wohlhabender als katholische Länder (rot eingekreist)
Um 1870: Mehr Patente (Innovationen) in Gegenden mit gemischt-religiöser Bevölkerung
Länder, in denen Protestantismus sich verbreitete (dunkelgrün), sind im Durchschnitt immer noch wohlhabender als Länder mit katholischem Hintergrund

Was waren die wichtigsten Gründe für die Steigerung des Wohlstands durch den Protestantismus?

Luther verlangte, dass seine Anhänger selbständig die Bibel studieren und setzte sich für allgemeine Schulbildung ein. Kinder entwickelten analytische und kommunikative Fähigkeiten, die die Industrie braucht.
Folge: höherer Anteil Industriearbeiter und Angestellter in protestantischen Gegenden Preußens


Protestanten greifen Innovationen gezielter auf, um ihre Ideen zu verbreiten, z.B. Buchdruck! Weitere Gründe wie die protestantische Arbeitsethik, Geist des Kapitalismus, ... und geeigneten Methoden der Analyse sind noch in der wissenschaftlichen Diskussion.

Ausschnitt aus „Luther vor dem Reichstag zu Worms“, Herrmann Plüddemann, 1844

Ausschnitt aus „Luther vor dem Reichstag zu Worms“, Herrmann Plüddemann, 1844,  (Quelle

Die protestantische Bewegung überwand den Dogmatismus der Kirche. Dadurch förderte sie selbstbestimmte Religiosität und aktivierte Mechanismen, die den Fortschritt der Gesellschaft bewirkten:


Jüngste Erkenntnisse einer umfangreichen Analyse wissenschaftlicher Veröffentlichungen zur Geschichte der Wirtschaft im Judentum, Christentum und Islam legen nahe: Es gibt einen Zusammenhang zwischen ökonomischem Fortschritt und Religiosität der Menschen - und nicht nicht unbedingt zwischen ökonomischem Fortschritt und Religionszugehörigkeit.

Von Weber stammt die erste Formulierung eines möglichen Zusammenhanges und ein erster seriöser, wissenschaftlicher Erklärungsversuch 

Debatte zur Zeit Max Webers im Deutschen Reich: protestantische Länder sind wohlhabender und fortschrittlicher als katholische. Webers Erklärung: Jede religöse Weltanschauung ist mit einer spezifischen Ethik und Lebensführung verbunden und begünstigt dadurch bestimmte Wirtschaftsformen


Es gibt eine „protestantische Ethik, die


Weber sprach zwar von protestantischer Ethik, blieb dabei aber diffus. Heute können wir seine „protestantische Ethik“ mit Religiosität gleichsetzen, denn Religiosität bestimmt Ethik und Lebensführung der Menschen. Damals war Religiosität nicht so differenziert untersucht wie heute. Daher konnte er nicht zwischen wohlstandsfördender und wohlstandsvermindernder bzw. -vernichtender Religiosität unterscheiden

Etwa zeitgleich differenziert Abu’l-Faḍl Golpaygani zwischen eigen- und fremdbestimmter Religiosität, um den Einfluss von Religion auf Innovation und Fortschritt zu beschreiben.
So führt er Webers Ansatz zu einem Ergebnis mit praktischer Relevanz für uns alle

1892 zeigt der iranische Religionshistoriker Abu’l-Faḍl Golpaygani: Alle Religionen sorgen für Fortschritt, solange 


Alle Offenbarungsreligionen unterstützen die oben beschriebenen Mechanismen, die die protestantische Bewegung gefördert hat. Diese wirken sich positiv auf den gesellschaftlichen Fortschritt und Wohlstand aus


Offenbarungsreligionen gehen sogar darüber hinaus: 

Abu’l-Faḍl weist dies anhand einer religionsgeschichtliche Untersuchung von Judentum, Christentum und Islam nach:

Abu’l-Faḍl unterscheidet die Wirkung der Religion auf die Gesellschaft anhand von zwei grundlegenden Arten von Religiosität 

selbsbestimmte Religiosität der Offenbarungsreligion 


fremdbestimmte Religiosität der überlieferten Tradition


Seine Erklärung (F143, F631):

Für uns moderne Menschen ist diese Unterscheidung entscheidend für die Beurteilung des Beitrags von Religionen zu Innovation und Fortschritt 

Ausgehend von diesen beiden grundlegenden Ausprägungen der Religiosität
unterscheidet Abu’l-Faḍl zwischen Offenbarungsreligion und religiösen Traditionen.
Offenbarungsreligion kommt von Gott, religiösen Tradition von den Menschen.

Offenbarungsreligion


religiöse Traditionen


Den positiven Beitrag der Offenbarungsreligion zeigt Abu’l-Faḍl am Beispiel des Christentums, Islam und des Judentums. 

Der nächste Abschnitt behandelt das frühe Christentum, weil es von den Römern und der Kirche sehr gut dokumentiert und in der modernen Wissenschaft am besten untersucht ist